Sie sind hier: Startseite "Hot Papers" Magnetorezeption

Magnetorezeption

Wie funktioniert der Magnetsinn in Zugvögeln und Insekten?                            Charakterisierung von kurzlebigen Radikalpaaren durch gepulste Elektronenspinresonanz-Spektroskopie

 

Zugvögel nehmen das erdeigene Magnetfeld richtungsabhängig wahr und orientieren sich so bei ihren weiten Reisen über den Globus. Verantwortlich hierfür sind wahrscheinlich lichtaktive Proteine in der Netzhaut im Auge der Vögel, die Cryptochrome. Diese Wahrnehmung des Erdmagnetfeldes wurde mittlerweile in etwa 50 Tierarten nachgewiesen, unter anderem auch in Fischen, Meeresschildkröten und Insekten.

Der Mechanismus der Magnetorezeption ist noch weitgehend ungeklärt. In den Cryptochromen kommt es durch Anregung mit blauem Licht spontan zu einem Elektronentransfer im Protein, der zur Bildung eines so genannten Radikalpaares führt. Dieses pendelt ständig zwischen zwei möglichen quantenmechanischen Zuständen hin und her. Zerfällt das Radikalpaar schließlich, so entsteht je nach Zustand ein chemisches Signal in der Zelle, das vom Organismus ausgewertet werden kann. Die Theorie besagt, dass die Umwandlung der quantenmechanischen Zustände des Radikalpaares durch das äußere Magnetfeld beeinflusst wird, wenn diese eine Reihe von Voraussetzungen erfüllen: (i) Das Radikalpaar muss eine Lebensdauer von mindestens  einer Mikrosekunde aufweisen; (ii) Es muss anisotrope Eigenschaften aufweisen, also für unterschiedliche Orientierungen relativ zu den Erdmagnetfeldlinien ein spezifisches Signal erzeugen; (iii) Die Wechselwirkungen zwischen den Radikalen im Radikalpaar dürfen nicht zu stark sein, was unter anderem durch einen großen Abstand der Radikale erreicht werden kann.

Wissenschaftler der Forschungsgruppe von Prof. Dr. Weber haben nun das Cryptochrom der schwarzbäuchigen Fruchtfliege (Drosophila melanogaster) mittels einer gepulsten Elektronenspinresonanz-Methode (OOP-ESEEM*) untersucht. Durch direkte Messungen am isolierten Protein konnten die Radikalpaar-Partner eindeutig identifiziert und charakterisiert werden: der Elektronentransfer**, und damit die Radikalpaarbildung, erfolgt im Cryptochrom zwischen dem FAD-Kofaktor*** im Inneren des Proteins und einem Tryptophan-Rest an seiner Oberfläche. Dieser Tryptophan-Rest stellt dabei das Ende einer Transfer-Kaskade aus vier Tryptophanen dar, so dass der Abstand der Radikalpaar-Partner am Ende mehr als 22 Å beträgt. Das Radikalpaar bleibt, wie gefordert, für mehr als eine Mikrosekunde erhalten. Mit der hochpräzisen OOP-ESEEM-Methode gelang es den Wissenschaftlern zudem, die Kopplung zwischen den Radikalpaarpartnern zu messen. Dies gibt Theoretikern das Fundament, um endlich spezifischere und exaktere Modelle der Magnetorezeption aufzustellen, und damit gemeinsam mit Experimentatoren das Mysterium des am Erdmagnetfeld orientierten Vogelflugs zu lösen. Mithilfe der Freiburger Wissenschaftler ist die Forschung einen entscheidenden Schritt näher am genaueren Verständnis des Magnetsinns von Tieren.

 

*OOP-ESEEM (engl.:out-of-phase electron spin echo envelope modulation)= Außerphasen-Elektronenspinecho-Einhüllendenmodulationsspektroskopie

**eigentlich handelt es sich um einen Elektronenloch-Transfer

***organisches Molekül, das im Protein gebunden ist und Elektronen aufnehmen kann

 

Originalveröffentlichung:

D. Nohr, B. Paulus, R. Rodriguez, A. Okafuji, R. Bittl, E. Schleicher und S. Weber

Bestimmung des Radikal-Radikal-Abstands in lichtaktiven Proteinen im angeregten Zustand und dessen Bedeutung für die biologische Magnetorezeption

Angewandte Chemie 129 (2017) 8670-8674

http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/ange.201700389/full

Von der Angewandten Chemie zum Very Important Paper benannt.

 

Kontakt:

Daniel Nohr / Prof.  Dr. Stefan Weber

Magnetische Resonanz 

Institut für Physikalische Chemie

Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Tel.: 0761 /203-6205 (Nohr), 0761/203-6214 (Weber)

E-Mail: daniel.nohr@physchem.uni-freiburg.de / stefan.weber@physchem.uni-freiburg.de