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CRY4 - Magnetsinn

Ist Cryptochrom 4 der gesuchte Kompass in der Netzhaut von Zugvögeln?          Transiente EPR Spektroskopie im Institut für Physikalische Chemie

Viele Tierarten nutzen das Magnetfeld der Erde um sich zu orientieren. Besonders Zugvögel legen sehr große Strecken zuverlässig über festgelegte Routen zurück. Für Vögel, die nachts ziehen, wie das Rotkehlchen, spielt der Magnetsinn dabei eine zentrale Rolle. Aber auch Vögel, die nicht oder kaum ziehen, wie die Taube oder das Huhn, nehmen das Erdmagnetfeld wahr.

Wie dieser Magnetsinn funktioniert und wo er im Körper verankert ist, untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seit Jahren. Dabei wird angenommen, dass der Magnetsinn auf ein lichtabhängiges Radikalpaar-System in der Netzhaut der Augen der Vögel beruht, das wie ein Kompass sensitiv auf das lokale Magnetfeld reagiert.

In zwei großen internationalen Studien konnten jetzt Forschende zeigen, dass Cryptochrom 4 (CRY4) in der Netzhaut von Vögeln ein sehr geeigneter Kandidat ist, die Funktion eines lichtinduzierten magnetischen Kompasses innezuhaben.

Mit Hilfe verschiedener biochemischer und spektroskopischer Methoden untersuchten die Arbeitsgruppen ErCRY4 aus Erithacus rubecula (das europäische Rotkehlchen), GgCRY4 aus Gallus gallus (das Haushuhn) und ClCRY4 aus Columba livia (die Haus- oder Stadttaube) in vitro.

Sie konnten zeigen, dass die untersuchten Cryptochrome in den Synapsen zwischen den Fotorezeptoren der Netzhaut und den Nervenzellen angereichert sind und sehr wahrscheinlich mit dort vorhandenen Proteinen, die an der Signalweiterleitung beteiligt sind, wechselwirken.  Das CRY4 bindet FAD (das Coenzym Flavin-Adenin-Dinukleotid), das lichtinduziert reduziert wird. Dabei läuft die Redoxkette innerhalb des Proteins über vier Tryptophan-Aminosäurereste (TrpA bis TrpD) bis an dessen Oberfläche. Es wird so ein langlebiges [FADH.TrpDH.+]-Radikalpaar reversibel gebildet. Die Radikalpaar-Bildung führt zu einer Konformationsänderung an der Oberfläche des Proteins, die zur Signalgebung genutzt werden kann. In vitro konnte gezeigt werden, dass schwache Magnetfelder wie das Erdmagnetfeld die Radikalausbeute beeinflussen, was die Grundlage für die Funktion als Magnetkompass bildet. Darüber hinaus haben die Untersuchungen ergeben, dass dieser Effekt beim Rotkehlchen (das nachts über weite Strecken zieht) wesentlich stärker ausgeprägt ist als bei der Taube oder beim Huhn (die überwiegend tagesaktiv sind). Diese Optimierung durch die Evolution zur besseren Anpassung an die Umweltbedingungen belegt die Bedeutung des CRY4 für die Navigation des nachtaktiven Rotkehlchens.

Sabine Richert, Tarek Al Said, Lennard Kruppa, Erik Schleicher und Stefan Weber am Institut für Physikalische Chemie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg haben innerhalb dieser Studien das Augenmerk auf die Radikalpaar-Bildung im Cryptochrom 4 gelegt. Mittels verschiedener Methoden der Elektronenspinresonanz (trEPR und OOP-ESEEM) und Simulationen an Wildtyp ErCRY4 und ClCRY4 sowie an geeigneten Mutanten konnten sie die an der Redoxkette beteiligten aromatischen Aminosäure-Reste und auch den finalen Elektronendonor identifizieren. Sie konnten das Spin-gekoppelte Radikalpaar charakterisieren und zeigen, dass dessen Eigenschaften, wie die Lebensdauer oder der Abstand der Radikale, die Voraussetzungen erfüllen, um als magnetischer Kompass zu fungieren.

Nach diesen bahnbrechenden Ergebnissen in vitro hofft das Forscherteam in Zukunft auch in vivo zeigen zu können, dass CRY4 der magnetische Kompass ist, der besonders Zugvögeln, die nachts fliegen, ein sicheres Navigieren ermöglicht.

 

Originalpublikationen:

J. Xu, L.E. Jarocha, T. Zollitsch, M. Konowalczyk, K.B. Henbest, S. Richert, M.J. Golesworthy, J. Schmidt, V. Déjean, D.J.C. Sowood, M. Bassetto, J. Luo, J.R. Walton, J. Fleming, Y. Wei, T.L. Pitcher, G. Moise, M. Herrmann, H. Yin, H. Wu, R. Bartölke, S.J. Käsehagen, S. Horst, G. Dautaj, P.D.F. Murton, A.S. Gehrckens, Y. Chelliah, J.S. Takahashi, K.-W. Koch, S. Weber, I.A. Solov'yov, C. Xie, S.R. Mackenzie, C.R. Timmel, H. Mouritsen, P.J. Hore

Magnetic sensitivity of cryptochrome 4 from a migratory songbird.

Nature 594, 535–540 (2021).

 

https://doi.org/10.1038/s41586-021-03618-9

 

T. Hochstoeger, T. Al Said, D. Maestre, F. Walter, A. Vilceanu, M. Pedron, T.D. Cushion, W. Snider, S. Nimpf, G.C. Nordmann, L. Landler, N. Edelman, L. Kruppa, G. Dürnberger, K. Mechtler, S. Schuechner, E. Ogris, E.P. Malkemper, S. Weber, E. Schleicher, D.A. Keays

The biophysical, molecular, and anatomical landscape of pigeon CRY4: A candidate light-based quantal magnetosensor

Science Advances 6 (2020) Art.No. eabb9110 (13 pages)

 

https://doi.org/10.1126/sciadv.abb9110

 

Kontakt:

Dr. Sabine Richert

Institut für Physikalische Chemie

Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Telefon: +49 761 / 203-6207

Email: sabine.richert@physchem.uni-freiburg.de

 

Prof. Dr. Erik Schleicher

Institut für Physikalische Chemie

Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Telefon: +49 761 / 203-6204

Email: erik.schleicher@physchem.uni-freiburg.de

 

Prof. Dr. Stefan Weber

Institut für Physikalische Chemie

Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Telefon: +49 761 / 203-6214

Email: stefan.weber@physchem.uni-freiburg.de